WARUM EURE FOOD-BILDER DRECK SIND


Surrend öffnet sich die Tür zum Edeka. Mein Blick ist auf das Handydisplay gesenkt, wie kleine, warme Tiere springen mich Fotos von selbstgemachtem Risotto und kaltem Gurkenschaumsüppchen an. Mit schlechtem Gewissen versuche ich, nicht völlig teilnahmslos am Gemüse vorbei zu gehen, lenke mich mit Onlinejournalismus ab. Selbst renommierte Zeitungen veröffentlichen aggressiv Rezeptvorschläge, man vermutet eine Zielgruppenumorientierung hin zur neuen Hausfrau, aber nein, Lachstatar ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein Mittzwanziger steht unschlüssig vor der Fischtheke, dabei sollte er an alten Autos herumschrauben. In der Midlifecrisis wird er sich kein Cabrio anschaffen, sondern gegen die Vergänglichkeit Seeteufel zerlegen, der deutsche Mann hat keine Scham mehr vor der Schürze, profiliert sich nicht mehr durch den Benz, sondern sein japanisches Tranchiermesser und alle finden diese Entwicklung sehr, sehr geil.

Man erinnere sich an Zeiten, in denen Kochen einzig der Nahrungsaufnahme diente. Gemüse schnippeln implizierte keinen meditativen Subtext, sondern war zeitaufwendig, danach alles dreckig, im schlimmsten Fall riskierte man Ärger mit dem veganen Mitbewohner, weil man sein Schnitzel auf seinem Thujabrettchen zersäbelt hatte. Nostalgisch denke man zurück an die Streits der Eltern, wer denn heute mit kochen dran sei. An Feiertagen ging man essen, nicht weil es auswärts besser schmeckte, sondern weil es fertig an den Tisch gebracht wurde. Kochen war Pflicht oder Berufswahl, aber nicht Lifestyle, Luxus nicht verpönt, sondern ein respektables Lebensziel.
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Heute wird in der Freizeit des fonduesaturierten Bildungsbürgertums gebraten und geschäumt. Gekrönt wird die Zweifelhaftigkeit dieses Trends nur noch von der Perversion, dass nicht mehr der Geschmack des Endergebnisses zählt, sondern sein Wert von außen bemessen wird, im schlimmsten Fall von einer Community, die das Foto im Netz bewerten oder ignorieren kann. Bilder des eigenen Gesichts sind schnell als eitel entlarvt, und so werden Fotos des eigenen Gerichts mit einem Retrofilter gewürzt und zum Geigerzähler des sozialen Wertes. Diese Prozedur trägt den Namen Food Porn. Lasziv räkeln sich Zucchiniblüten zwischen Wildreis, Mädchenmünder werden bei dem Anblick feucht. Es gibt heute Menschen, die vom Fotografieren ihrer Mahlzeiten leben können.
Die Alibifunktion von Essen ist nicht das Problem, auch früher war Essen schon Tafelrunde und implizierte viel mehr als reine Nahrungsaufnahme. Heute aber wird das Konzept der Dinnerparty falsch verstanden. Einstmals diente Essen als Vorwand, um sich im Kreis von angenehmen Menschen in privater Atmosphäre gediegen und über die Maßen zu betrinken. Dinnerpartys rechtfertigten Exzess und Maßlosigkeit. Man rauchte dicke Zigarren, behauptete, diese seien auf den Schenkeln kubanischer Jungfrauen gerollt worden, baggerte seine Tischnachbarin an und dazu gab es eben was Anständiges zu essen. Anstandshalber lobte man den ersten Bissen und thematisierte die Mahlzeit dann nicht mehr.
Heute verschleiern junge Menschen, die sich in biedermeierlicher Verklemmtheit zum Kochen verabreden, die Tatsache, dass sie nichts zu verschleiern haben, dass ihre Angst vor Exzentrik und Ausschweifungen sie zu manierlichen Langweilern macht. Man trifft sich, freut sich, wenn das Lamm versalzen ist, verteilt dem Verunglimpften im Geiste fünf strafende Promi Dinner Punkte und tritt gegen 12 alleine den Heimweg an, denn das blasse Hobby Kochen ist verlässliches Verhütungsmittel. Meist sind die Zutaten hochwertiger als die Garderobe, aber keiner verurteilt das als Verschwendung, denn verbaler Vintage ist en vogue und dein Körper dein Tempel. Zersplittert in Identitäten, sich ihrer selbst völlig unsicher und mit dem head up in the cloud tritt der moderne Mensch den Rücktritt an, besinnt sich auf Wünsche, die erfüllbar und risikoarm sind. Rücksichtsvoll, vernünftig, völlig irrelevant tröpfelt unverbrauchte Adoleszenz einer Generation dahin, die weiß, dass sie nichts verändern wird und gegen ihre Unbedeutsamkeit ankocht. Die Siebziger waren LSD und freie Liebe, die Zehnerjahre Himbeerpüree und Feige. Biogemüse macht unangreifbar, essen mag jeder, und so wird der Hobbykoch im Gegensatz zum Origamifalter nicht belächelt, sondern respektiert.

Unsere Zukunft wird immer unübersichtlicher, also herrscht gemeinhin Resignation und Rückzug an den Herd. Dabei ist nicht Essen attraktiv, sondern essen, weil es von Lebenslust und Genussfähigkeit zeugt.
Es ist erst einige Wochen her, da habe ich hier an der Kasse einen Kerl angesprochen, in dessen Einkaufskorb weder Ziegenkäse noch Avocadocreme, sondern ein Tetrapak Rotwein und eine TK Pizza lagen. Wir haben uns für den gleichen Abend „zum Kochen“ verabredet. Erwartungsfroh hüpfte ich in mein unbequemes Spitzenhöschen und malte mir die Augen schwarz. Der Abend wurde eine Enttäuschung. Wir haben gekocht.


(Dieser Text stammt aus meiner Veröffentlichung in der Anthologie "Diapositive". Wer ein Exemplar a acht Euro will melde  sich: ronja.roenne@gmx.de)


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